ICH WILL KEIN MITLEID Weil er nicht töten wollte, flüchtete er. Er wurde von Hunden gejagt, man steckte ihn ins Gefängnis und schlug ihn. Jetzt ist der Syrer Baraa Trainer beim 1. FC Nürnberg. G N U G E W E B B U L C Baraa ist keiner, der mit seinem Leid hausieren geht. Dabei reicht das, was der 26-jährige Syrer an Angst und Verzweiflung, Krieg und Gewalt erfahren hat, für drei Leben. Wenn er von seiner Flucht über die Balkanroute nach Deutschland erzählt, lächelt er sogar manchmal. Vielleicht will er all das Schreckliche maskieren. Er ließ sich weder der Assad-Armee noch der freien Armee zuordnen, deshalb wäre sein Leben in Syrien in Gefahr ge- wesen. Die Polizei in Aleppo geht davon aus, dass er beim Kampf um das Gefängnis getötet wurde, wie viele Insassen. In seiner Heimat wissen nur seine Eltern und fünf Brüder, dass er noch lebt. Täglich beten sie für ihn. Baraa schaffte es nach Istanbul, wo er drei Jahre täglich zwölf Stunden in einer Textilfirma als Schneider arbeite- te. Wer dort keine Papiere hat, erhält nur den Drittel des Lohnes. Er versuchte, nach Sofia zu gelangen, um an Dokumente zu kommen. Einem Schleuser gab er 1.000 Dollar. Er scheiterte an der Grenze. Eine Woche war er im Gefängnis, wurde nackt ausgezogen, geschlagen und bestohlen. Mittellos kehrte er, teilweise zu Fuß, hunderte Kilometer nach Istanbul zurück. Er floh vor bellenden Hunden, die ihn den Fluß entlang verfolgten. Das Ziel Westeuropa blieb. Ein Freund arbeitete am Hafen von Izmir, im Westen der Türkei. Von dort setze er vier Monate später mit einem Boot und 40 Personen auf die griechische Insel Khios über. An Bord half er dem Kapitän, übernahm Verantwortung für Kinder und Frauen. Ich hatte Angst, falsche Informationen zu geben und deshalb möglicherweise für den Tod eines Menschen verantwortlich zu sein. Baraa Fragt man ihn, was ihn am meisten beschäftigt, antwortet er, was auch Männer seines Alters aus Nürnberg, Zirndorf oder Coburg antworten würden. Er sei auf der Suche nach der richtigen Frau, sagt er lachend. Sie solle an Gott glauben, „denn ohne Glauben geht es nicht.“ Weil er nicht töten wollte, musste er fliehen. Er wurde von Hun- den gejagt. Man steckte ihn in ein Gefängnis, zog ihn aus, man schlug und beraubte ihn. Und jetzt ist der Syrer Baraa Trainer beim 1. FC Nürnberg. Seine Fluchtgeschichte erzählt man am besten gerafft. In Syrien war Baraa eineinhalb Jahre lang Mitglied der Armee von Assad. Zuerst sechs Monate in Damaskus, dann in Aleppo. In einem Gefängnis bewachte er 100 Inhaftierte der freien Armee, der Opposition also. In dem Gefängnis wurde gefoltert, getötet. Daran beteiligt war er nicht, sagt er. Er hatte keinen Kontakt zu Gefangenen. „Ein Jahr lang kämpfte die freie Armee, um die Insassen freizuk- riegen. Es gibt Videos auf YouTube, die das zeigen“, sagt Baraa. Freunde seiner Eltern, die der freien Armee angehören, warnten ihn vor dem Überfall. Im Kofferraum brachten sie ihn weg. Die Schlaglöcher hätte er zählen können, seine Herzschläge nicht. Plötzlich hörte er ein Gewehr knattern und schrie: „Was ist los?“ Als der Kofferraum geöffnet wurde, blendete ihn das Sonnen- licht. Er hatte Glück, die Soldaten waren freundlich, beruhigten ihn und gaben ihm Datteln mit Milch zu essen. Sie wollten über ihn bloß an Informationen kommen. Baraa erzählte jedoch nur von sich selbst. „Ich hatte Angst, falsche Informationen zu geben und deshalb möglicherweise für den Tod eines Menschen verant- wortlich zu sein.“ Die freie Armee versuchte, ihn abzuwerben. Er weigerte sich. „Ich kämpfe nicht für und nicht gegen sie“, sagt er. „Ich töte niemanden.“ Wer so denkt, muss Syrien verlassen. 35 HAMAH